Kuh-Update & Low-Tech-Hof
Wie kann ein Bauernhof heutzutage überleben? Mit Tradition oder Moderne? Zwei Landwirte standen vor dieser Frage – und kamen zu völlig unterschiedlichen Lösungen für Stall und Stube.
Regelmäßige Updates vom Softwareanbieter? Das kennt man. Auf Toni Krisplers Bauernhof kommen die Updates jedoch von der Kuh. Alle 30 Minuten. Über einen Chip im Halsband übertragen die Tiere ihre Vitaldaten aus dem Stall auf Tonis Computer: Milchertrag und -qualität, Bewegung oder Fresszeit pro Tag – ja, sogar, ob sie brünstig sind. Vor Augen haben muss Toni die Kühe dazu nicht mehr.
Wachsen oder weichen?
Bis zum digitalen Hightech-Hof war es ein weiter Weg. 2010 stand Toni am Scheideweg: Zusammen mit seiner Frau Sibylle hatte er den Motzenhof von seinen Eltern übernommen – einen Milchviehbetrieb in Adnet im Salzburger Tennengau. Rentabel war der aber nicht mehr. Was tun? Den Hof aufgeben oder Bauern bleiben und kräftig investieren? Die Krisplers entschieden sich für letzteres. Aus 10 Milchkühen wurden 35, aus dem alten Anbindestall ein neuer, großer Freilaufstall, der technisch alle Stücke spielt. Viele Arbeitsschritte sind mittlerweile automatisiert: das Füttern, das Melken, das Ausmisten. „Du musst halt mit der Zeit gehen“, sagt Toni, „und deine Landwirtschaft wie eine Firma führen. Das Ziel ist, mit wenig Aufwand viel Milch rauszubringen und gesunde Kühe zu haben.“
High-End-Futter für Hochleistungskühe
Toni stellt uns eine seiner Fleckvieh-Damen vor: „Diese Kuh da heißt Sonne. Sie hat gerade das zehnte Kalb bekommen – und das elfte schon im Bauch. Milchleistung in ihrem Leben: über 100.000 Liter! Das schafft fast keine Kuh, schon gar nicht ohne ganz spezielles Futter!“ Toni bereitet den Futtermix selbst zu und bringt ihn mit einem großen Radlader in den Stall: Heu, getrocknete Luzerne, Bohnen, Erbsen, Soja, Triticale, Melasse und Rübenschnitzel. „Bei uns kriegen die Tiere 365 Tage im Jahr das gleiche Futter. Und sie können 24 Stunden am Tag fressen.“ Viermal täglich fährt ein Gerät durch den Stall, das aussieht wie ein zu groß geratener Mähroboter, und schiebt das Futter wieder näher an die Kühe heran: ein automatischer Futterschieber. Zu Trinken gibt‘s vorgeheiztes, exakt 23 Grad warmes Wasser. Und das, was hinten aus den Kühen rausfällt, befördert der „Schrapper“, ein automatischer Mistschieber, wieder aus dem Stall hinaus.
Melken ohne Menschen
Hochleistungskuh „Sonne“ will ihren Milchrekord offenbar noch toppen. Selbständig marschiert sie in den stalleigenen Melkroboter. Diese vollautomatische Melkanlage hat „Sonne“ am Halsband-Chip erkannt, reinigt ihr Euter mit automatischen Bürsten, setzt selbständig das Melkgeschirr an die Zitzen und pumpt die Milch ab. Damit das bestmöglich funktioniert, ist zuvor die individuelle Euterform jeder Kuh dreidimensional gescannt worden. Nach dem Melken kommt noch Pflegemittel aufs Euter, „Sonne“ erhält eine Kraftfutter-Leckerei als Belohnung, dann „entlässt“ sie der Roboter wieder. Und die Bauersleute? Die sind beim Melken überflüssig.
Tier- und Menschenwohl
„Die Kuh ist bei uns selbstbestimmt“, erklärt Sibylle Krispler. „Sie kann machen, was sie will und wann sie’s will. Wenn das Euter drückte, musste sie früher warten, bis die Bäuerin kam. Heute geht sie einfach melken. Auch das ist Tierwohl.“ Wenn Kühe jederzeit fressen, ins Freie gehen und Milch loswerden können, profitiere aber auch das „Menschenwohl“: „Durch die Automatisierung bist du zeitlich viel flexibler, musst nicht zu einer bestimmten Uhrzeit im Stall sein.“ Dadurch gewinnen Sibylle und Toni Zeit: für die Kinder, für Tonis Zweitjob als Futtermittelberater, für die Ferienwohnungen am Hof oder um abends auch einmal auszugehen. „Vor kurzem waren wir vier Tage in Hamburg auf Urlaub“, erzählt Toni. „Die Milcheinstellungen haben wir einfach von dort aus übers Smartphone gemacht – 1.000 Kilometer entfernt!“ Und er ergänzt: „Klar: Wenn ich weniger investiert hätte, müsste ich jetzt weniger erwirtschaften, um alles wieder einzuspielen. Aber dann wäre auch die Lebensqualität geringer.“ Denn auch wenn Toni Krispler Bauer mit Leib und Seele ist – er ist ebenso gerne Ehemann und Vater.
Kaspergut: alt, aber nicht verstaubt
Szenenwechsel. Hans Kleiners Kaspergut bei Mattighofen im Innviertel funktioniert komplett anders: piano statt forte. Und dieser Hof in Oberösterreich sieht auch völlig anders aus: fast wie Bauernmuseum. Was in gewisser Weise ja auch stimmt. Immerhin ist der über 200 Jahre alte Hof denkmalgeschützt. Vor beinahe 20 Jahren hat Hans ihn gekauft – desolat und einsturzgefährdet. Seither hat Hans das Kaspergut Schritt für Schritt renoviert, mithilfe seiner Familie. Er erwies sich dabei als Universaltalent: Fenster, Türen, Böden, Möbel für die Ferienwohnung oder ganze Nebengebäude – fast alles hat Hans selbst hergestellt. Und zwar wo immer möglich mit alten, traditionellen Materialien. Daher muss man am Kaspergut oft zweimal hinschauen, damit man das Neue überhaupt erkennt.
Bewährtes aus Überzeugung
Aber nicht nur bei der Optik setzt Hans Kleiner auf Tradition. Auch bei der Art und Weise, wie er seinen Betrieb zusammen mit seiner Schwester Elisabeth führt. Er lebt und arbeitet wie früher, und zwar aus Überzeugung. Was nicht heißt, dass er sich aus einem Partout-Standpunkt heraus gegen alles Moderne wehrt. Aber bei seinen Maschinen vertraut er lieber auf das Alte, Bewährte. Etwa auf das traditionelle „Seitengatter“, eine alte Sägeanlage, die Hans in Bausch und Bogen aus Kärnten „importiert“ hat. Oder auf die sogenannte Wandersäge. Dieses früher mit Dampfkraft angetriebene Ungetüm heißt so, weil es von den Holzarbeitern mit in den Wald genommen wurde. Auch diese Säge funktioniert noch, nur auf Wanderschaft geht sie nicht mehr. Selbst Geräte und Haushaltsgegenstände, die ausgedient haben, finden am Kaspergut zumindest noch als Dekoration Verwendung. Bei Hans Kleiner verkommt nichts.
Einfaches Leben, gutes Auskommen
Die alten Maschinen sind in gewisser Weise auch der Notwendigkeit geschuldet: „Beim dem, was wir hier erwirtschaften, kann ich mir nicht immer etwas Neues kaufen. Aber das macht nichts, ich bin damit zufrieden“, fügt Hans an. „Ich muss aus meinen Tieren nicht das Maximum herausholen, muss nicht viel Profit machen. Mir geht’s darum, dass ich auskomme in meinem Leben. Ich brauche keinen neuen Traktor, keinen Porsche, ich will ein einfaches Leben führen. Und je einfacher das Leben ist, desto stressfreier ist es auch.“
Selbsterhalter nach altem Muster
In vielen Bereichen ist Hans Selbsterhalter. Denn auch bei der Lebensmittelproduktion verfolgt er den Ansatz von früher: Das meiste am Bauernhof produziert er für den Eigenbedarf. Und das, was zu viel ist, verkauft er eben. Weil das Kaspergut nicht nur ein Biohof, sondern auch ein „Archehof“ ist, hält Hans alte Haustierrassen: Durch den wunderschönen Innenhof stolzieren Sulmtaler Hühner, auf ein paar geschlägerten Baumstämmen turnen Pinzgauer Strahlenziegen, daneben wühlen Mangaliza-Schweine im Matsch. Aus letzteren macht Hans Surspeck und den typischen Innviertler Kübelspeck. Und jeden Freitag wird im steingemauerten Holzofen Bauernbrot gebacken. Genauer: Sauerteigbrot aus eigenem Roggen, nach altem Rezept. Auch Brotbackkurse werden angeboten. Das kommt nicht von ungefähr: Hans Kleiner ist gelernter Bäcker, musste den angestammten Beruf aber an den Nagel hängen.
Zeit nehmen, Zeit gewinnen
Warum er sein Brot selbst bäckt? „Weil dann nur das drinnen ist, was reingehört“, erklärt Hans. „Und sonst nichts. Keine Stabilisatoren oder ähnliches. Nur Mehl, Salz, Wasser und ein paar Gewürze. Mehr braucht es nicht zum Brotmachen. Und vor allem Zeit. Aber genau die hat heutzutage kaum mehr jemand.“ Bis auf Hans. Denn seine Lebensweise schafft auch Freiräume: „Das ist das Schöne: Wenn ich einmal müde bin, dann lege ich mich eben kurz zum Erholen in die Wiese. Wer macht das heutzutage noch?“
Tradition oder Moderne? sowohl als auch
Wie die beiden Höfe wohl in zehn Jahren aussehen werden? Hans Kleiner wird am Kaspergut vermutlich weiterhin mit Low Tech zufrieden sein. Was gut so ist. Und Toni Krisplers digitaler Motzenhof wird vielleicht schon bei Landwirtschaft 4.0 angelangt sein. Was ebenso gut ist. Noch besser ist, dass offenbar beide Nischen funktionieren. Wie so oft im Leben gibt es also mehr als eine Lösung für ein- und dieselbe Fragestellung.