Traumberuf Sennerin?
Viele, sehr viele Menschen wandern über sommerliche Almen, viele von ihnen bleiben sogar für den Almurlaub längere Zeit als Gäste oben. Und manche von ihnen haben plötzlich oder auch schon über längere Zeit hinweg den Wunsch im Kopf, einmal Sennerin oder Senner hier heroben zu sein und die Idylle auf der Alm so richtig genießen zu wollen. Aber wie kann ein solcher Wunsch Realität werden?
Christina Gollner hat zunächst nach ihrem BWL-Studium, das sie nach eigenen Worten ziemlich ehrgeizig absolvierte, gleich in einem doch sehr herausfordernden Job gearbeitet und dann noch umfangreiche Ausbildungen draufgesetzt. Zum damaligen Zeitpunkt dachte sie noch, dass das richtig sei. Aber ein paar Jahre später hatte sie in zunehmendem Maße das Gefühl, im berüchtigten Hamsterrad zu stecken und dabei das Leben an sich vorbei ziehen zu lassen. Sie fühlte sich mehr und mehr nur müde und ausgelaugt, wobei sie schon drauf und dran war, ihren damaligen, gut dotierten Job einfach hinzuschmeißen. Sie hatte Sehnsucht nach einem einfachen Leben, sie wollte den Überfluss und den Stress in ihrem Leben reduzieren, mehr mit, von und in der Natur zu leben. Mit einem Wort, es musste was geschehen!
Und es geschah, allerdings nur mit ihrer eigenen Mithilfe und Entschlossenheit. Sie war schon immer gerne draußen gewesen, liebte die Natur und die Berge. Übrigens nicht so verwunderlich, denn schließlich lebt sie bei Lienz in Osttirol mit den Gipfeln ringsum in Sichtweite. Apropos Gipfel, dazu sagt Christina: „Wenn ich auf einem Gipfel stehe, kann ich nirgendwo hin, dann bin ich nur bei mir.“ Und irgendwann so zwischendurch kam ihr die rettende Idee: Sie wollte Sennerin werden! Inzwischen hat sie vier ganze Sommer auf Almen verbracht.
Den ersten ihrer Almsommer war sie auf der Tröpolacher Alm in den Karnischen Alpen. Dort hat man sie „gnadenhalber“ als absolute Amateurin angestellt, wie sie heute lachend sagt. Auf dieser Alm gibt es umfangreiche Käsereiwirtschaft („Gailtaler Almkäse g. U.“) mit ziemlich großer Gastronomie. Für beides kam Christina eher nicht in Frage, das eine wegen fehlender Kenntnisse und Fertigkeiten, das andere lag grundsätzlich nicht in ihrem Interesse. Aber die „Viecher“ waren es! Da konnte sie sich als Anfängerin bei der Betreuung der Tiere beweisen, fühlte sich am richtigen Platz und eignete sich rasch gute Praxiskenntnisse an.
Im zweiten Sommer war sie schon mutiger und übernahm auf der Maureralm als Hirtin das, was man wohl heute Weidemanagement nennt. Die Maureralm liegt im Maurertal in Osttirol. Von wegen Tal! Christina selbst beschreibt es sehr konkret und bodenständig als felsig, hochalmig und grabenmäßig. All jene, die schon einmal über die Maureralm zur Essener-Rostocker-Hütte gewandert sind, werden das bestätigen. Hier betreute Christina in den letzten drei Sommern 30 bis 48 ein-bis zweijährige Jungrinder. Die Zahl hing davon ab, wie viele Tiere die Bauern jeweils auf die Alm schickten.
Und wie kann man sich diese Betreuung durch die Hirtin vorstellen? Das Jungvieh wird auf dieser Alm in eingezäunten Koppeln gehalten. Das heißt, dass mittels immer wieder neu aufgestellter Zäune die Tiere in anderen Almteilen weiden. Die Hirtin hat die Aufgabe, diese Koppeln auszuwählen, die Zäune aufzustellen und die Tiere dorthin zu bringen und sie zu überwachen. Und das Ganze acht bis neunmal in einem Sommer! Die Betreuung der Tiere geschieht natürlich permanent. Man kann sich vorstellen, dass dabei schon einige Kilometer und auch Höhenmeter für die Hirtin zusammenkommen. Das ist ja Knochenarbeit! „Ja, das ist sie,“ gibt Christina ehrlich zu. „Das Schwierigste ist das Schleppen der Zaunpfähle, die hier Strempfel heißen. Aber durch das, was man im Sport Training nennt, wird man immer besser und kann eine immer größere Zahl von Strempfeln tragen, was wiederum Kilometer und Höhenmeter spart“, erklärt Christina weiter.
Trotz der Schinderei glücklich?
Christina ist sehr froh, sich für ihre Sommerarbeit entschieden zu haben. Gleichzeitig ist sie dankbar, dass sie einen Hauptarbeitgeber hat, bei dem sie jetzt schon Jahre als Bilanzbuchhalterin gerne arbeitet und der sie in ihren Almmonaten abmeldet. Bei der Agrargemeinschaft wird sie als landwirtschaftliche Hilfskraft angemeldet und natürlich auch versichert. Beide Arbeitgeber waren in der Vergangenheit froh, wenn sie jeweils wieder kam!
Die Hirtin und Bilanzbuchhalterin ist mehr als glücklich. Am Ende ihrer vierten Saison sagt sie lächelnd: „Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, nicht wieder im Sommer auf der Alm zu arbeiten. Wahrscheinlich ginge für mich dann die Welt unter.“ Aber sie weiß auch sehr genau, dass man diese Arbeit auf der Alm nicht für immer machen kann, obwohl sie gerade einmal vierzig ist. Aber wer kann schon in die Zukunft sehen, schon gar nicht in die eigene! Christina sagt weiter, fast ein bisschen nachdenklich: „Meine Almerfahrungen nimmt mir keiner mehr. Ich bin als Mensch viel menschlicher geworden, habe viel für das Leben gelernt, ich bin für Alles viel dankbarer. Das Hamsterrad ist dadurch nicht mehr da, denn ich weiß, dass ich es anhalten kann, mein ehemaliger Ehrgeiz ist stark eingebremst, was mir nur guttut. Ich bin durch die vergangenen Almsommer sehr zufrieden geworden mit meinem Leben.“
Realistischer Blick in die Almpraxis
Die Alminspektorin von Kärnten, Barbara Kircher, nennt die ihrer Meinung nach unerlässlichen Eigenschaften, die jemand haben sollte, wenn er auf der Alm arbeiten will.
Verlässlich sollte man sein. Der Umgang mit Tieren, vor allem mit Nutztieren, sollte einem Freude bereiten. Schlechtes Wetter darf kein Problem sein. Leichten Herzens sollte man auf Komfort verzichten können. Bodenständig und selbständig muss man sein. Und es sollte einem nichts ausmachen, mitunter ganz allein in der Abgeschiedenheit zu sein, und eine gesunde Entscheidungsfreudigkeit wird halt auch sehr oft gebraucht. Ganz schön viel? Ja, eben, für romantische Vorstellungen ist da leider sicher kein Platz mehr!
Jetzt soll es darum gehen, wie man Senner oder Sennerin werden kann. Außerdem: Welche Berufe gibt es eigentlich auf der Alm? Bei der folgenden Beschreibung ist natürlich überall das gegenderte -in hinzuzufügen, denn für alle Tätigkeiten auf der Alm stellen sowohl Frauen als auch Männer ihre „Person“. Also:
• Hirte – in manchen Gegenden heißen sie Halter oder Ochsner. Sie passen auf das Weidevieh auf so wie Christina im obigen Bericht.
• Melker, Kaser oder Käser. Sie sind hauptverantwortlich für die Milchverarbeitung auf den Almen.
• Senner – Sie sind nicht nur für das Vieh zuständig, sondern müssen auch in der Milchverarbeitung fit sein, ganz abgesehen davon, dass je nach Alm auch noch die Gästebewirtung dazu kommt.
Und alle zusammen sind das ALMPERSONAL! Wohl so etwas wie die Schiffscrew auf dem Almschiff.
Um alle diese Aufgaben wahrnehmen zu können, sollte man als Quereinsteiger eine Grundausbildung machen. Eine solche gibt es beim Ländlichen Fortbildungsinstitut in Zusammenarbeit mit dem Almwirtschaftsverein. Die „Almlehrgegenstände“: Allgemeiner Einblick in die Almwirtschaft, Nutztierhaltung und Nutztiergesundheit; Almvegetationskunde; arbeits- und steuerrechtliche Fragen für das Almpersonal; Spezialeinheiten, etwa Herstellen von Schmuck für den Almabtrieb; und noch andere.
Auch Christina Gollner hat diese Grundausbildung absolviert, sie findet sie einfach unverzichtbar und sehr hilfreich. Wie die Alminspektorin Barbara Kircher sagt, wurden ungefähr die Hälfte der Absolventen in den letzten Jahren tatsächlich zum Almpersonal in der Praxis. Sowohl Kircher als auch Gollner sind der Meinung, dass – Ausbildung hin oder her – die Praxis auf der Alm eben das Um und Auf ist. Das sprichwörtliche kalte Wasser, in das man dabei geworfen wird, ist in diesem Fall die Alm!