Ein Richtungswechsel aus tiefstem Herzen
Vom Bürostuhl in den Kuhstall: Dass Angelika Kaltenhauser diesen Weg gehen wird, hätte sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Doch auch ungeträumte Sehnsüchte bekommen mancherorts Flügel. Wie am Scharrerhof im Oberpinzgau.
Angelika ist zwar am Land aufgewachsen, doch was es wirklich heißt, eine Landwirtschaft zu führen, davon hatte sie keine Ahnung. Ihre große Liebe Georg hingegen war als ältester von sechs Kindern felsenfest davon überzeugt, den elterlichen Hof zu übernehmen. Und Angelika nahm die Herausforderung an, kündigte den fixen Bürojob und damit ihr Leben in der 38 Stunden Woche und zog auf den Scharrerhof nach Hollersbach. „Mein Leben hat sich um 180 Grad gedreht. Wir haben den Hof im Jahr 1996 übernommen, geheiratet und drei Kinder groß gezogen.“ Dass eine Landwirtschaft viel Arbeit in sich birgt, darauf hatte sie sich eingestellt: „Es ist eine wunderschöne Aufgabe. Unsere Familie ist den ganzen Tag beisammen, jeder hilft jedem, das verbindet.“ Nur wenn das Wetter mal nicht mitspielen will und die Heuernte verregnet, das zehrt an den Nerven.
Dichter Wald statt Almenlandschaft
Am Scharrerhof wird nämlich beste Bioheumilch produziert, 50 Rinder zeichnen sich dafür verantwortlich, Silage wird keine verfüttert. Im Winter stehen sie im neu gebauten Laufstall am Hof, im Sommer fahren sie sprichwörtlich in den Urlaub und verbringen die warmen Monate auf der Alm inmitten des Nationalparks Hohe Tauern. Wie es seit Generationen Tradition ist. Aus gutem Grund: „Im Oberpinzgau würde der Tourismus sterben, würde es keine Landwirte mehr geben. Statt saftigen Wiesen, duftenden Almblumen und dem vertrauten Läuten der Kuhglocken, würde ein dichter Wald die Kulturlandschaft vereinnahmen. Hört die Landwirtschaft auf, schwindet auch die Lebensqualität.“ Aber ans Aufhören denkt am Scharrerhof zum Glück keiner und die junge Generation mit dem ältesten Sohn steht längst in den Startlöchern.
Angelika selbst holt sich ihre Energie ebenfalls auf der Alm: „Zwei Stunden dort oben reichen bereits.“ Die 115 Jahre alte und renovierte Almhütte wird neben den Ferienwohnungen im Tal vermietet. Weit und breit gibt es keinen Internetempfang, telefonieren mittels Handy kann man nur an einer bestimmten Stelle und das eigene Auto ist aufgrund des Nationalpark-Gesetzes ohnehin tabu. „Viele Gäste haben meist eine unbegründete Angst, nicht mehr erreichbar zu sein. Wenn sie dann aber zwei, drei Tage auf der Alm sind, merken sie, wie Körper und Geist wieder normal werden. Die Ruhe der Natur ist für viele dringend notwendig geworden in einer Zeit, wo der Druck im Job und der Anspruch an die Technik stetig steigt.“
Im Tal am Hof selbst, sieht der Urlaubsalltag etwas anders aus: Zehn Ferienwohnungen, zwei davon barrierefrei, werden ganzjährig vermietet. Zu Spitzenzeiten sorgen um die 20 Gästekinder für ein geschäftiges Treiben. Dabei sein will jeder, wenn Kühe, Schafe und Ponys zu füttern sind, mithelfen wird aufgrund der hohen Anzahl und der Technik schon schwieriger: „Wir nehmen die Kinder überall hin mit und erklären die Zusammenhänge, damit sie die wertvollen Lebensmittel mehr achten. Das tatsächliche Mithelfen, wie es früher einmal war, wird hingegen seltener, weil die Technik in der Landwirtschat Einzug gehalten hat. Der Melkstand und die Maschinen am Feld haben die körperliche Arbeit verringert.“ Gott sei Dank, wie Angelika sagt.
Werbung am Wanderweg
Und das versteht jeder Gast, ob groß oder klein. So unternimmt man im Sommer eben ausgedehnte Ausflüge auf die Almen und nutzt im Winter die hervorragende Anbindung an die Kitzbühler Alpen. Dass der Scharrerhof ein Geheimtipp ist, erzählt man sich mittlerweile sogar entlang der Salzburger Wanderrouten. Dort kreuzte sich im vergangenen Sommer der Weg zweier Familien: Die eine schon längst Stammgast, die andere nach deren Empfehlungen auf dem besten Wege, es zu werden. Man buchte somit das erste Mal den Urlaub bei Angelika und wie es der Zufall haben will, waren genau die Stammgäste, welche den Hof einst empfohlen hatten, ebenfalls zur selben Zeit am selben Ort: „Die Wiedersehensfreude war groß, Freundschaften fürs Leben wurden geschlossen. Wer so etwas erleben darf, merkt, dass er letztlich etwas richtig macht.“