Sennerin auf Zeit
Seit 15 Jahren lebt und arbeitet Martina im Sommer auf Almen. Nach mehreren Stationen hat es sie auf die Piffalm in Salzburg verschlagen.
„Natürlich kann ich mir einen Sommer ohne Alm vorstellen“, sagt Sennerin Martina Mühlbauer. „Aber der wäre ziemlich nutzlos. Denn mich hat der Almvirus gepackt“.
Vom Almvirus gepackt
Seit 15 Jahren lebt und arbeitet Martina im Sommer auf Almen. Nach mehreren Stationen hat es sie auf die Piffalm in Salzburg verschlagen. Und die ist eine recht spezielle Alm. Alm mit Wow- und Lerneffekt Nicht nur wegen der Aussicht mit Wow-Effekt: Bildschön liegt die Piffalm auf knapp 1.500 Metern Seehöhe oberhalb von Ferleiten. Gegenüber protzen die gletschergeschmückten Dreitausender des Nationalparks Hohe Tauern. Außergewöhnlich ist die Piffalm auch, weil sie der Landwirtschaftsschule Bruck gehört. Dort unten im Tal führt Martina Mühlbauer den schuleigenen Bauernhof. Zumindest den Winter über. Im Frühsommer allerdings tauscht Martina das Läuten der Schulglocke gegen das Pfeifen der Murmeltiere. Dann zieht sie mit den schuleigenen Tieren zur „Sommerfrische“ auf die Piffalm. Dort besuchen sie die Schüler manchmal noch für Praxiseinheiten: Zäune machen, Forstwirtschaft, Almbewässerung. Die meiste Zeit jedoch ist Martina hier alleine – als Sennerin auf Zeit. „Im Herbst gehe ich dann wieder runter ins Tal und arbeite an der Schule einfach mit meinen Tieren weiter“, ergänzt sie. „Das ist ideal. Auf anderen Almen war das Schlimmste nämlich der Almabtriebstag. Weil du da die Kühe, die dir ans Herz gewachsen sind, dem Bauern zurückgeben musstest.“
Zusatzjause im oberen Stock
Aber wozu treibt man die Tiere im Sommer eigentlich seit alters her auf Almen? Um zusätzliche Weideflächen zu gewinnen. Im Gebirge würden die raren Wiesen im Tal nicht genügend Futter hergeben, um die Nutztiere das ganze Jahr zu ernähren. Apropos Nahrung: Gäste bewirtet Martina nicht. Das würde den Arbeitsrahmen sprengen. Kein Wunder, bei 37 Milchkühen und etwa 50 Stück Jungvieh auf der Piffalm. Dazu ein Schwein, vier Hühner, 10 Pferde, 40 Ziegen und an die 100 Schafe.
Workout auf der Alm
Und so sieht Martinas täglicher Alm-Workout aus: „Mein Wecker klingelt um halb fünf. Dann folgt erst einmal das Melkritual: Kühe in den Melkstand bugsieren, Euter mit Holzwolle reinigen, Anmelken, Melkmaschine anschließen, Melken, Kühe wieder raustreiben.“ Einen kleinen Teil der Milch verarbeitet Martina gleich auf der Hütte zu Frischkäse. Den großen Rest holt jeden zweiten Tag der Milchwagen, der über die Großglockner-Hochalpenstraße zur Almhütte fahren kann. „Nach dem Melken kommt das Stallputzen. Danach gehen die Kühe wieder auf die Weide, ich zum Frühstück. Bis die Kühe am Abend das zweite Mal gemolken werden, mach‘ ich jene Arbeiten, die halt so anfallen.“ Weidezäune umstecken zum Beispiel.
Almpflege durch Tiermäuler
Ganz schön viel Arbeit also. Das tun sich heutzutage nicht mehr viele an. „Schaut’s, da drüben!“, ruft Martina, als wir mit ihr die gehörig steilen Almwiesen hinaufsteigen, um nach Jungvieh und Ziegen zu suchen, die nicht eingezäunt sind. Martina zeigt auf einen Hang außerhalb „ihres“ Weidegebietes, wo Sträucher und Jungbäume das Kommando übernommen haben. Das passiert unweigerlich, wenn ein Bauer das Handtuch wirft und eine unrentable Almwiese aufgibt. Almen sind nämlich nicht Natur pur, sondern künstlich geschaffene Lebensräume: Der Mensch rodete vor Urzeiten den Wald und ließ auf den entstandenen Weiden sein Vieh grasen. Seitdem braucht es hungrige Tiermäuler, damit die Almen nicht wieder zuwachsen. „Bei mir übernehmen das vor allem die Tauernschecken, meine Ziegen“, sagt Martina. „Die seht ihr dort drüben.“ Über so viel Appetit auf Almpflege freut sich auch der heimische Tourismus. Denn aussichtsreiche, harmonische Almlandschaften sind ein unverzichtbarer Bestandteil des Urlaubsangebotes in Österreich. Die Ziegen hätten wir also gefunden. Aber vom Kuh-Jungvolk: nach wie vor keine Spur. Daher ruft Martina noch einmal: „Kiah-dei kemmt’s!“ Und siehe da: Während wir uns noch wundern, wie so viel Stimme (gefühlte 120 Dezibel) aus so wenig Körpergröße (exakt 159 Zentimeter) kommen kann, schauen die ersten Kuhhäupter ums Eck.
Geben und Nehmen
„Das sind die besten Almmomente“, freut sich Martina, „wenn ich meine Kühe ruf‘ und sie kommen von selbst daher.“ Vielleicht liegt‘s an der Art und Weise, wie Martina mit ihnen umgeht: Selten drohend, meist kooperativ. „Wenn man dem Vieh Wertschätzung gibt, dann kriegt man das auch wieder retour“, meint Martina. „Die Kühe sind ja meine Mitarbeiterinnen. Und mit denen kannst in einem guten Unternehmen nicht irgendwie herumspringen.“ Weil die Kühe Menschen aus dem Schulbetrieb gewohnt sind und Martina das ganze Jahr über mit ihnen zusammen ist, kann sie sich den Pinzgauer Rindern auf der Weide nun ganz eng nähern – viel näher als ein x-beliebiger Ausflügler. „Ich kenn‘ jede meiner Kühe. Jede einzelne hat ihren eigenen Charakter und will auch entsprechend behandelt werden.“
Führungskräfte und Eremiten
„Spannend ist auch, wie sich die Rangordnung am Berg ändert. Bei mancher Kuh glaubst du, die steht in der Hierarchie eher unten. Und heroben auf der Alm ist das plötzlich die Kuh-Chefin! Die Wally zum Beispiel. Zu der sag‘ ich nach dem Melken in der Früh: ‚Wally, geh‘, bring’ alle gut hinüber auf’d Woad!‘ Und die führt dann tatsächlich selbständig die Herde hinüber! Diese Kühe brauche ich. Wenn ich an jedem Kuhhinterteil anschieben müsste, da ginge gar nichts weiter!“ Und dann gibt’s Kühe, die werden im Almmodus zu Einzelgängerinnen. „Die Wohlmut ist so eine. Die schwindelt sich über alle Zäune hinaus und steigt weit rauf. Dort liegt sie dann ganz alleine. Was für Kühe ungewöhnlich ist. Aber die Wohlmut weiß: Da oben, da ist ihr Paradies. Und dort residiert sie dann wie die Queen Mum. Darum glaube ich: Auch die Kühe genießen die Zeit da heroben.“
Licht und Schatten
Auch Martina hat einen Almmodus: „Da heroben bestimmen nur mein Tagesrhythmus und das Wetter die Arbeit. Da kann ich so sein, wie ich bin. Du lebst für die Tiere, du lebst mit der Natur. Und bist weit weg von dem Alltagsgeschehen unten.“ Aber nicht immer herrscht eitel Sonnenschein: „Das Schlimmste ist, wenn ich im Herbst nicht alle meine Viecher wieder g’sund heimbring‘“, sagt Martina. „Letztes Jahr hat ein Blitz mein Fohlen erschlagen. Es gibt nix Härteres.“
Der Preis der Idylle
Almromantik pur gibt’s also nur im Heimatfilm. Im richtigen Leben wird Sennerinnen und Sennern einiges abverlangt. Manchmal auch im Schneesturm, mitten im Sommer. Urlaubstag? Gibt’s keinen. Stattdessen Sieben-Tage-Wochen. Eine Kuh will auch am Sonntag gemolken werden. „Klar ist das kein Zuckerschlecken“, meint Martina dazu. „Aber nur in der Sonne zu liegen wäre mir eh zu wenig. Ich brauch‘ schon die Herausforderung.“
Das gewisse Kribbeln
Bald wird Martina mit ihren Tieren ins Tal zurückkehren. Dort genießen die Rinder den trockenen Stall, die Streicheleinheiten der Schüler – und die elektrische Kuhbürste. Eine Zeitlang zumindest. Aber im Frühjahr, wenn’s draußen grünt, werden alle ungeduldig. „Da fängt‘s wieder an zu kribbeln“, erzählt Martina. „Dann geht’s mir gleich wie meinen Kühen: Wir wollen wieder rauf auf die Alm!“ Martina wird also auch nächsten Sommer auf der Piffalm zu finden sein. Zum achten Mal bereits. Denn geheilt wird man selten vom Almvirus. Die meisten Infizierten streben das aber auch gar nicht an.