Zeit fürs Ich
Ein Aufenthalt auf einer Alm ist wie ein Jungbrunnen. In höheren Lagen sind die Probleme des Alltags kleiner, die Menschen entspannter. Die roten Blutkörperchen werden mehr, Körper und Geist erholen sich und kommen zur Ruhe. Man muss sie nur lassen.
Zur Ruhe kommen, entspannen – das sagt sich so leicht.
Ist aber nicht so einfach.
Wie auch, wenn ständig das Handy piepst und hinter jedem Eck eine andere Ablenkung wartet. Kurze Auszeiten sind aber wichtig – sich selbst Gutes zu tun, ist richtig. Denn Pausen reduzieren die permanente Alarmbereitschaft des Körpers und senken das Stresslevel. Sie verblasen den Gedankenlärm, aktivieren den Ruhemodus und ermöglichen uns, die Seele baumeln zu lassen. So kann man negative Begleiterscheinungen andauernder Überbeanspruchung wie Verspannungen, Kopfschmerzen oder schlechten Schlaf vermeiden und sich endlich auf das Wichtigste konzentrieren: sich selbst. Worauf also warten: Rauf auf die Alm und Hirn auf Durchzug! Aber wie geht das?
Urkraft aus der Natur
„Das Hirn ist unsere Kontrollschranke und immer aktiviert“, weiß Hermenegild Schäffer von der Almhütte Hermenegild in der Steiermark. Sie hat für sich herausgefunden, wie sie ihm ein Schnippchen schlagen kann. „Ich geh auf die Alm wegen der Stille und genieße es, wenn ich oben sitze und nichts höre – nur den eigenen Atem und den Wind. Das ist ein Faszinosum, da bin ich ganz bei mir.“ Diese Urkraft aus der Natur kommt aber nur dann, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen. Der Vorsatz, in drei Stunden auf dem Gipfel sein zu müssen, dann in der Hütte schnell zu essen und bald wieder nach Hause zu eilen, weil Besuch kommt, ist nicht der richtige Zugang.
Gebirge als Jungbrunnen
Denn Bewegung in höheren Lagen ist gut und besonders gesund. Der Bregenzer Internist Egon Humpeler hat im Rahmen seiner Austrian Moderate Altitude Study herausgefunden, dass regelmäßiges Wandern in mittleren Höhen, also 1.000 bis 2.500 Metern, den Sauerstoffgehalt im Körper verbessert. Dort oben ist die Luft dünner, sie enthält weniger Sauerstoff, der Organismus muss mehr arbeiten. Er produziert frische, rote Blutkörperchen, die Sauerstoff an das Gewebe abgeben, erneuert seine Zellen und stärkt den Körper. Wunderbar geht das auch in der Sonnalmhütte von Willi Staudacher im Liesertal oder auf der Prädastenalm bei der Familie Loinger in den Kitzbüheler Alpen. Letztere liegt auf 1.480 Metern, unterhalb des Feldalphorns, und ist ein idealer Ausgangspunkt für Wanderungen aller Art. Und die sollte man immer wieder einplanen. Sie sind gut für den Körper und für den Kopf, begünstigen die Produktion des Glückshormons Serotonin und sorgen für gute Stimmung. Auf der Alm erspart man sich den Psychologen!
Digital entgiften
Hoch oben ist das Loslassen um einiges einfacher. Auf der Oberen Sandrisser Hütte, auf 1.900 Meter Seehöhe, ist alles weit weg und damit für den Moment weniger relevant. Wenn die Glocken der Almkühe verstummen, wird es still, richtig still. Kleiner Wagen, Großer Bär und Orion erhellen den Himmel, beim Frühstück am nächsten Morgen spiegeln sich die Karawanken in der Kaffeetasse. Ähnlich ist es auf der Oberen Michlbauerhütte von Familie Koller am Katschberg. Sie thront auf einer sonnigen Hochalm über der Baumgrenze mit Blick in die Hohen Tauern. Dort kann man den Kühen und Ziegen beim Weiden zusehen und wenn man Glück hat, ein Steinadlerpärchen und andere wildlebende Tiere wie Rehe oder Murmeltiere beobachten. Für den Störenfried Nummer eins, das Smartphone, gibt es oft keinen Empfang, den digitalen Versuchungen des Alltags kann man ohne schlechtes Gewissen widerstehen. Dafür bleibt mehr Zeit, um die gute Luft zu genießen, sich zu erden und zu bewegen.
Gelassenheit üben und Achtsamkeit gegenüber sich selbst und der Natur lernen, kann man wunderbar auf den österreichischen Almhütten. Meditationen entspannen Körper und Geist, persönliche Naturbilder formen das Unterbewusstsein. So verbindet man sich mit seinem Innersten und findet zu einem neuen Lebensgefühl. Mit weniger Stress, dafür mit mehr Leichtigkeit, Kraft und Zufriedenheit.